Dr'in Simone Burel über linguistische Unternehmensberatung und Neurodiversität als Chance

14. August 2024

Simone Burel
Foto: Peter Jülich / Agentur Focus
Simone Burel

Dr’in Simone Burel

Geisteswissenschaften


Dr’in Simone Burel ist Expertin für Inklusive Sprache und Neurodiversität. Mit der LUB GmbH hat sie die erste linguistische Unternehmensberatung in Deutschland ins Leben gerufen. Ihr Ziel: Organisationen durch gezielten Einsatz von Sprache zu mehr sozialer Nachhaltigkeit und Diversität zu verhelfen. Denn Sprache beeinflusst das Denken und Handeln ganz entscheidend, auch in Unternehmen.

Im Interview spricht Dr’in Simone Burel über die Bedeutung von Sprache als Instrument des Wandels, die Entwicklung eines einzigartigen Diversity Checks für Unternehmen und die Chancen, die ein offener Umgang mit Neurodiversität für die Arbeitswelt und uns als Gesellschaft bietet.

Frau Dr‘in Burel, Sie haben mit der LUB GmbH die erste linguistische Unternehmensberatung in Deutschland gegründet. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Die LUB GmbH – Linguistische Unternehmensberatung ist ein Hybrid aus Beratung (Consulting) und Kommunikationsagentur. Wir bieten Dienstleistungen rund um Sprache, Text und Kultur an, um Organisationen auf dem Weg zu mehr (sozialer) Nachhaltigkeit, Verbundenheit und Wissensdiffusion zu unterstützen. Unsere linguistische Brille verhilft Kund*innen zu einem tieferen Verstehen Ihrer Organisation und einem besseren Ergebnis, denn: Sprache formt Denken und ist die Basis für menschliches Handeln.

Wie lässt sich Sprache als Instrument nutzen? Was bringt das konkret für Unternehmen?

Sprache ist eine effektive Methode des Wandels, denn Sprache wirkt unterbewusst – und das bei ungefähr 10.000 Wörtern, die wir täglich sprechen. Die Verwendung von inklusiver Sprache erschließt neue Märkte und Zielgruppen, sorgt für eine höhere Mitarbeitendenbindung, erhöht die Zufriedenheit und sorgt auch für eine höhere Wahrscheinlichkeit, andere Wettbewerber*innen zu übertreffen. Denn wenn sich Mitarbeitende inkludiert fühlen, arbeiten sie bis zu 83 % innovativer.

Sie haben einen Diversity Check für Unternehmen entwickelt. Wie funktioniert er und welche Aspekte werden dabei analysiert?

Beim Diversity Check arbeiten wir nach dem AEC-Ansatz Diversity by Design: Zuerst fördern wir mithilfe einer Diversity-Checkliste und einer Analyse des Unternehmens das Bewusstsein (Awareness) für das Thema Diversity. Wir schauen uns bspw. das Leitbild und andere Textsorten an und prüfen, inwiefern Diversity dort bereits mitgedacht wird. Dann setzen wir auf individueller Ebene an, um zentrale Akteur*innen mit Wissen & Skills für mehr Teilhabe zu versorgen (Empowerment). Schließlich verankern wir Diversität strukturell im Unternehmen verankern und sorgen so für nachhaltigen Wandel (Change).

In Ihrem neuen Buch geht es um "Neurodiversität in der Arbeitswelt". Was ist das, Neurodiversität?

Anders als verbreitet angenommen, handelt es ich bei Neurodiversität nicht um eine Erkrankung oder Behinderung. Vielmehr ist es ein aufkommender interdisziplinärer Begriff, der beschreibt, wie Reize aus der Umgebung im Gehirn auf eine "andere" Weise verarbeitet werden. Neurodiversität ist ein Konzept, das die Vielfalt der neurologischen Unterschiede als eine natürliche menschliche Gegebenheit positiv betrachtet, d. h. Menschen mit unterschiedlichen neurologischen Merkmalen und Entwicklungen sind unter ihr gleichsam vereint. Ca. 20 bis 30 % der Menschen weltweit sind neurodivers.

Welches Potenzial birgt ein offener Umgang mit Neurodiversität, sowohl im Arbeitskontext als auch gesamtgesellschaftlich?

Gesamtgesellschaftlich betrachtet kann ein offener Umgang mit Neurodiversität dabei helfen, Vorurteile und Diskriminierung abzubauen. Auch im Arbeitskontext ist es für Entscheider*innen wichtig, ihre Kenntnisse und ihr Bewusstsein zu Neurodiversität auszubauen, um mögliche Vorurteile zu überwinden. So können viele wichtige Talente von neurodiversen Menschen für die Arbeitswelt der Zukunft ausgeschöpft werden, beispielsweise Kreativität, Detailgenauigkeit, Spezialinteressen, analytisches Denken, Empathie und Hochbegabung.

Wodurch zeichnet sich eine neurodivers-freundliche (Arbeits-)Umgebung aus?

Am wichtigsten ist, die Bedürfnisse und Anforderungen der Mitarbeiter*innen zu kennen und diese in die Planung und Organisierung des Büros miteinzubeziehen. So sind manche Personen mit Autismus, AD(H)S oder Hochsensibilitäten stark durch Sinneseindrücke wie Licht, Lautstärke oder Gerüche beeinträchtigt und abgelenkt. Dies kann zu Stress oder einem Verlust an Produktivität führen. Manche Arbeitsräume werden sich nur schwer anpassen lassen, beispielsweise in der Produktion, in Fahrzeugen, im Krankenhaus etc. Bei vielen anderen Bürotätigkeiten gibt es aber jede Menge Spielraum.

Sie haben ein erfolgreiches, innovatives Unternehmen aufgebaut. Wie hat Ihnen Ihre eigene Neurodiversität auf Ihrem Weg geholfen?

Meine Neurodiversität hat es mir ermöglicht – oder es erforderlich gemacht – mich aus dem klassischen Angestelltentum zu lösen. Stattdessen habe ich ein Unternehmen geschaffen, das zu mir passt – und nicht umgekehrt. Innerlich fühle ich mich stärker von gesellschaftlichen Normen befreit als vorher. Diese Freiheit ist vielleicht nicht physisch an jedem Tag da, aber mental ist sie es. Eventuell kann ich durch mein So-Sein keine klassischen vorgeformten Lebenswege gehen, und meine eigenen sind mühsam, aber sie sind dafür customized!

Welche Entwicklungen wünschen Sie sich für die nächsten Jahren in Bezug auf den Umgang mit Neurodiversität?

Wir müssen offener über Gesundheit, Krankheit und Neurodiversität reden als bisher und unser gesellschaftliches wie berufliches Leben darauf einstellen. Nur, weil Neurodiversität nicht immer direkt für andere sichtbar ist, heißt es nicht, dass sie nichts mit Systemen macht – mit Familien, Freundschaften, (Paar-)Beziehungen oder Unternehmen. Wenn alle ein bisschen mehr (Neuro-)Diversität zulassen würden, könnte es uns als (Arbeits-)Gesellschaft sehr viel besser gehen: es gäbe transparente Kommunikation, weniger gefühlte Zwänge oder sozialen Druck und Leid durch Krankheitsphasen.

Share

Bestätigen für mehr Datenschutz:

Erst wenn Sie auf OK klicken, können Sie den Artikel auf empfehlen. Nach Ihrer Empfehlung werden keinerlei Daten mehr an oder Dritte gesendet.

Mehr dazu hier: Datenschutzerklärung

OK
Abbrechen